Der Rabengesang

aus dem Buch

Nordische Göttersagen
von
A. Kayser-Langerhannß

Der Rabengesang der Edda

Die Nornen schwiegen und wandten sich ab,

Entglitten in Nebelwogen.-

Da saust es um Odin und schwirrte herab,

Zwei Vögel kamen geflogen.

Zwei Vögel im schwarzen Gewand der Nacht,

Sie schwebten um Haupt und Glieder.

Er lähmte nicht ihres Fluges Macht,

Sie setzten sich flatternd nieder;

Berührten die Schultern und hafteten bald,

Sie flüsterten Zauberklänge.

Und Odin Verstand der Worte Gewalt,

Als wären es Runengesänge.

Die Raben (Hugin und Munin)

Vernimm, Du welterschaffner Gott,

Daß wir beide Dich immer umschweben.

Wir ziehn mit Dir, wenn Hohn und Spott

Bedroh`n Dein unsterbliches Leben

Ich , Hugin, wecke Erinnerung,

Will Schlaf sie betäubend umranken.

Ich, Munin, erhalte feurig und jung

Die schaffenden Gottes Gedanken.

Entsende uns taglich um`s Weltenall,

Das jugendlich jetzt sich erbauet.

Wir bringen Dir Kunde, allüberall,

Vom Werden,daß wir erschauet.

 

Doch niemals verscheuche das Rabenpaar;

Denn wenn Erinnerung endet,Wenn der Gedanke belenbende Schar

Vom Geistesthrone entwendet,

Dann schwächst Du die hehre Gottesmacht,

Und wirst zum Untergang eilen,

Dann droht und naht die letzte Schlacht,

Du wirst das Verderben teilen.-

Wir sind des Schicksals vorfliegende Zwei,

Es haftet der Spruch an den Taten.

Bewahr Deine Gottheit und halte sie frei

Von des Unheils rächenden Saaten.

 

Und Odin, die Brust von Erregung durchwühlt,

Die Seele begeistert erweitend,

Vom Stolz gehoben, den Allmacht fühlt,

Siegstrunken den Abgrund durchschreitend,

Umflattert vom kreischenden Rabenpaar,

Hemmt plötzlich das Vorwärtsgleiten.-

Es bot sich ein Anblick, ein drohender dar;

Denn blitzschnell zu beiden Seiten

Hinsanken die schwersten Blöcke zum Grund,

Geworfen von Riesenhänden,

Sie stürzten vor ihm , erschütternd den Schlund,

Anprallend an Hohlschluchts Wänden.

 

Dicht vor ihm, das Eisstück in wuchtiger Hand,

Zum Wurf ihm im Schwunge hebend,

Kraftstrotzend, umloht vom Feuerbrand,

Heimtückisch, in Wut erbebend,

Stand Ymir, mit scheußlich verzerrtem Gesicht,

Vertiert dem Gott gegenüber;

Doch Odin schreckte der Gräßliche nicht,

Er streifte sein Auge hinüber,

Durchdringend und kalt, wie funkelnder Stahl,

Das traf bis in`s Herz den Zerstörer,

Und Odin blieb nicht des Wunsches Wahl,

Kampf bot er dem frechen Empörer. .....

 

 

Das Gedicht befasst sich in den folgenden Strophen mit dem Kampf zwischen den beiden Kontrahenten und der anschließenden Erschaffung der Welt. Odin hielt sich an die Warnung der Raben bis zum Schluss.......

 

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