Die alte Hex
Bei dem folgendem Text handelt es sich um eine Kindheitserinnerung unseres lieben Rabenbaumfreundes Klaus.
Wir freuen uns, dass wir ihn hier veröffentlichen dürfen und hoffen, dass er Euch ebenso gefällt wie uns.
Er nimmt uns bei der Hand und entführt uns in eine andere Welt mit Kinderaugen.
Lasst uns gemeinsam staunen.
Die Rechte liegen selbstverständlich beim Verfasser des Artikels. Der Rabenbaum steht in keinem Zusammenhang mit dem Verfasser des Artikels.
Anmerkungen, Lob und Kritik reichen wir aber gern an Klaus weiter
Die alte Hex
So um 1959 herum, ich war damals 8 Jahre alt, lebte ich durch besondere Umstände, gezwungen eine Zeit lang im Elsaß bei einer ganz besonderen Frau. Diese Frau die mich aufgenommen hatte wurde von allen anderen Dorfbewohnern wie die Pest gemieden, da sie als alte Hexe verschrien war.
Es war ein kleines Dorf mit 15 Bauernhöfen die alle ärschlings (mit der Hinteren Front) an einer kleinen Straße lagen. Es war eigentlich gar keine Straße sondern eher ein etwas breiterer unbefestigter Weg der noch durch Bombentrichter zum Teil unbefahrbar war. Um zu „meinem“ Dorf zu kommen musste man dort, wo die Bombentrichter waren ein Stück über das Feld fahren und dann hinter dem Bombentrichter wieder auf die Straße zurück kehren. Wie ihr seht war es nicht so ganz leicht zum Dorf zukommen, was zur Folge hatte das eigentlich nur ganz wenige Fremde in das Dorf kamen. Und die, welche trotz dem wirklich schwierigen Weg herfanden, kamen zu eben der Frau die mich aufgenommen hatte.
Aber ich glaube es ist nötig dass ich auch erzähle wie ich eigentlich in dieses Dorf gekommen war und auf diese Frau getroffen bin. In ganz kurzen Zügen war das so. Meine Eltern waren bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen und ich wurde als Kleinkind durch das Jugendamt in ein Kinderheim eingewiesen. Da aber dieses Kinderheim absolut nichts von einem Heim (heimisch) hatte, sondern eher etwas von einem Folterkeller, kam es dass ich, seit ich bewusst denken konnte, da raus wollte. Also bin bei der ersten sich mir bietenden Gelegenheit aus dem Kinderheim weggelaufen. Ich bin dann während dieser Zeit einfach so, ohne bestimmtes Ziel herum gestreunt und habe mir mein Essen zusammen gebettelt oder mir einfach das gestohlen was ich zum Leben brauchte. So kam ich, über die Stadt Saargemünd zu dem kleinen Dorf das in vieler Hinsicht mein weiteres Leben beeinflussen sollte.
Die Frau die mich aufnahm traf ich in Saargemünd. Ich hatte sie angebettelt und um Essen oder Geld gebeten. Da ich aber kein Französisch, sprach (denn das Elsaß war ja französisch) hatte ich mir angewöhnt mich zu verstellen und spielte ein geistig zurück gebliebenes Kind um nicht sprechen zu müssen. Ich ließ die Zunge aus dem Mund heraus hängen, hinkte, schielte und sabberte und lallte beim Sprechen vor mich hin. Dass ich ungewaschen und immer sehr schmutzig war und auch bestimmt nicht sehr gut roch, verstärkte nur den Eindruck den ich erwecken wollte. So hatte ich es auch bei der Frau gemacht als ich sie anbettelte. Das hatte bisher immer sehr gut funktioniert und alle die ich bisher anbettelt hatte gaben mir etwas, einfach um mich wieder so schnell als möglich loszuwerden.
Aber diese Frau nicht! Sie schaute mich einen Augenblick in dem mir ganz anders wurde an und sagte dann auf dem Elsässischen- deutsch zu mir. „Wenn du willst kannst du mit mir kommen.“ „Setzt dich dort hin und warte auf mich und während du wartest iss was.“ Sie brach ein Stück von dem frischen Baguette ab das sie in ihrem Korb hatte und suchte dann weiter in ihrem Korb bis sie eine Fleischwurst fand von der sie mir ein anständiges Stück abschnitt.
Mir war es recht und so setzte ich mich auf einen großen Stein der unter einem Baum lag. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ging in eine Seitenstraße in der sie verschwand.
Ich wusste sehr wohl dass das nicht ungefährlich war als Kind mit fremden Menschen mitzugehen. Das hatte ich schon auf der Straße gelernt. Aber welche andere Möglichkeit hatte ich. Etwa so wie in der Geschichte der Bremer Stadtmusikanten sagte ich mir „Etwas Besseres als das Kinderheim finde ich allemal“ Ich beschloss auf die Frau zu warten.
Dann kam sie! Ohne ein weiteres Wort zu verlieren winkte sie mir zu dass ich kommen sollte und übergab mir einen kleinen leichten Jutesack der mit irgendetwas gefüllt war was herrlich roch. Wir stiegen in einen Bus der uns in etwa 2 Stunden auf das Land brachte. Dann stiegen wir irgendwo im Nichts aus und gingen noch etwa eine Stunde über Feldwege bis wir zu dem Dorf kamen das für mich jetzt für eine Weile zum Zentrum der Welt werden sollte. Während der ganzen Reise hatte sie kein Wort gesagt, wohl aber ständig ihren Mund bewegt und vor sich hin gemurmelt. Jetzt sagte sie mir „wenn dich jemand fragt sage einfach dass du mein Patenkind aus Deutschland bist.“ Das war alles. Wir gingen nebeneinander durch das Dorf und es war deutlich zu merken dass die Menschen uns aus dem Weg gingen. Sie unterbrachen bei unserer Annäherung ihre Tätigkeiten und zogen sich auf ihre Höfe zurück von wo aus sie uns mit ihren Blicken folgten. Man konnte das gehässige Gewisper fast körperlich spüren.
„Was haben die Leute denn“ fragte ich die Frau und sie sagte nur dass das „arme, dumme Menschen seien, die ihre Hilfe nötig hätten. Ich war jetzt aber beruhigt denn sie war mit mir mitten durch das Dorf gegangen und alle hatten mich gesehen. Also hatte sie wohl nicht vor mir etwas zu tun.
Dann, etwa einen Kilometer aus dem Dorf raus, kamen wir an ein kleines altes Fachwerk Haus das zwischen einigen großen alten Bäumen stand. Sie ging zu jedem Baum rund um das Haus und berührte ihn mit den ausgestreckten Handflächen und murmelte etwas vor sich hin. Ich war dann doch etwas erstaunt. Später lernte ich dass sie zu jedem Baum ein kleines Gebet sprach während sie ihn berührte. Erst dann ging sie zur Türe des Hauses und trat ein. Die Türe war nicht abgeschlossen gewesen sondern nur angelehnt. Jetzt zögerte ich doch etwas und fühlt eine leise Angst die in mir aufkam.
Sie schien meine Angst und Unsicherheit zu spüren und kam aus dem Haus raus wieder zur Türe, schaute mir in die Augen und sagte nur “Du wirst es gut haben! Komm rein.“ Und auf einmal war ich ganz ruhig und gelassen und war mir ganz sicher dass es mir hier bei ihr gut gehen würde. Und das will was heißen denn ein angespannteres, seelisch kaputteres und verkorksteres Kind wie mich war ein wohl schwierig zu finden. Ich war auf einmal wirklich ganz ruhig und entspannt. Ich trat ein und das erste was mich überwältigte war ein starker Duft. Es roch ganz intensiv nach getrockneten Kräutern. Und wirklich, in dem Halbdunkel des Raumes sah ich das an der Decke eine große Anzahl von allerlei Kräutern hing die an langen Schnüren befestigt waren. Der Duft war einfach herrlich. Der Raum war etwa 6 x 8 Meter groß und hatte einen kleinen Anbau dort wo die Küche war. Auf der gegenüberliegenden Seite war ein riesiger offener Kamin. Neben dem Kamin, jeweils rechts und links, befand sich eine durch einen bis zum Boden reichenden Vorhang verdeckte Nische. Es waren, wie sich später herausstellte, unsere Schlafzimmer. Ich sollte in der etwas kleineren Nische rechts von Kamin schlafen. Drinnen stand ein kleiner Nachttisch und zwischen dem Bett und dem Vorhang der die Schlafnische zum Wohnraum hin abschirmte war etwa 1 Meter Platz. Dann kam das Bett in dem bequem 2 Personen hätten schlafen können. Das Bett stand mit drei Seiten an der Wand und sollte für mich ganz alleine sein! Ich konnte es kaum fassen. Ich war es vom Kinderheim her gewöhnt in einem Schlafsaal zu schlafen in dem noch 40 andere Kinder waren und jetzt hatte ich auf einmal ein ganzes großes und sauberes Bett für mich alleine! Ich war einfach überglücklich!
Die Frau rief mir zu dass ich zum Tisch kommen sollte. Da stand schon ein riesiger Teller heiße Linsensuppe, daneben lag ein Stück Brot und da stand ein Glas Wasser oder Tee oder so etwas. Ich setzte mich hin und die Frau nahm mir gegenüber am Tisch Platz. Ich wollte sofort zulangen aber sie stoppte mich sofort und sagte dass man zuerst beten müsse und dass man den Göttern danke solle. Das Beten war ich ja gewohnt denn im Heim mussten wir ja auch vor dem Essen ständig endlose Gebete hersagen. Also faltete ich wie gewohnt meine Hände um zu beten. Sie lachte leise und sagte „ Warte einen Augenblick ich werde etwas für dich holen.“ Sie stand auf und ging zu ihrer Schlafnische. Als sie zurück kam hatte sie etwas in der Hand. Es war ein, an eine dünne Lederschnur gebundener Stein der auf beiden Seiten ein Zeichen eingeritzt hatte. Sie hing mir das Ding um den Hals, (wie ich später erfuhr war es ein heiliges Göttersiegel), und sagte mir dass ich beim Beten immer das Siegel in beiden Händen halten müsse. Ich neigte den Kopf und schaute unter den Augenlidern zu ihr hin um zu wissen wann das Gebet denn nun zu Ende sei. Sie saß aufrecht und hielt ihr Siegel in beiden Händen. Die Augen hatte sie geschlossen und nach oben gerichtet. Sie war völlig konzentriert auf das Gebet und redete mit leiser Stimme in einer Sprache die ich nicht verstand. Aber es war kein Deutsch und auch kein Französisch. Ich hielt mein Siegel mit beiden Händen und wartete einfach ab wann sie aufhören würde um endlich mit dem Essen beginnen zu können.
Aber zuerst fragte ich sie noch in welcher Sprache sie zu Gott gebetet habe. Sie lachte und sagte dass sie in einer sehr sehr alten Sprache zu den Göttern gebetet habe. Im Kinderheim hatte der Priester ja in der täglichen Messe und in den Andachten auch immer in einer anderen Sprache (Latein) geredet wenn er gebetet hatte. Das war also nichts Neues für mich dass man in fremden Sprachen zu Gott redete, aber das mit den Göttern hatte ich nicht verstanden. Also fragte ich nach. Bisher war die Sache mit Gott und so für mich immer eine eigentlich gut überschaubare Sache gewesen. Da war Gott, sein Sohn Jesus, dessen Mutter Maria, die Engel und die Heiligen und Schuss. Vielleich kam da noch irgendwo der Papst aber spätestens dann war Schluss. Eigentlich eine für meinen Kinderverstand klare Sache.
Was sie mir aber während des Essens und hinterher erzählte klang für mich eher wie eine Abenteuer Geschichte als eine Geschichte von einem Gott. Da redete sie von Baum Göttern, von einer Person die Odin hieß, von einer Frau die Freya hieß, von Aasen, von himmlischen Pferden und so vielmehr dass ich ganz verwirrt wurde. Gespannt hörte ich ihr zu. Ich hing an ihren Lippen und wollte kein Wort von dieser herrlichen Geschichte verpassen.
Irgendwann aber bin ich dann aber wohl am Tisch eingeschlafen und nahm nur noch wahr dass sie mich zudeckte und mir zart über das Haar strich. Es war das erste Mal in meinem Leben dass ich ruhig, völlig entspannt und traumlos schlief.
Als ich dann am Morgen aufwachte schien es mir noch ziemlich dunkel zu sein. Aber es war schon heller Tag und es war der Schatten der Bäume die das Haus umgaben die alles dunkler erscheinen ließen. Ich schaute mich um. In meinem Bett lagen überall kleine Säckchen die mit irgendwelchen Kräutern gefüllt waren. Meine Bettwäsche war blitzeblank weiß und auf dem Nachttisch lagen einige zusammen gefaltete Kleider und davor standen ein Paar blankgeputzte Schuhe. Von meinen alten Kleidern fand ich keine Spur.
Ich stand auf und zog die neuen Kleider an und trat in den Wohnraum. Die Frau saß am Tisch und spielte scheinbar mit einigen Spielkarten. Als sie mich bemerkte sah sie sich zu mir um und lachte über das ganze Gesicht. „Du hast dich nicht gewaschen, geh nach draußen da steht ein Bottich mit Wasser und daneben liegen Seife und ein Handtuch. Wenn du fertig bist komm wieder rein. Ich habe ein feines Frühstück für dich. Pfannkuchen und Milch!“ Sie wandte sich wieder ihren Karten zu und schien mich vergessen zu haben. Ich ging nach draußen entkleidete mich und wusch mich mit dem Wasser das im Bottich war. Das Wasser war hundsgemein kalt und so war ich mit dem waschen schnell fertig.
Nach dem Frühstück ging ich in die Küche und wusch mein Geschirr ab. Dann setzte ich mich wieder zu ihr an den Tisch und schaute ihr zu wie sie mit den Karten hantierte. Sie hatte sich nicht mehr weiter um mich gekümmert und erst als ich sie ansprach schien sie mich wahrzunehmen. Auf meine Frage hin was sie denn da mit den Karten mache und für was das denn gut sein antwortete sie indem sie mir sagte dass sie sich das Leben anderer Menschen anschaue und das sie etwa um die Mittagszeit herum einen Kunden erwarte. Ich dürfte gerne zuschauen müsse mich aber wenn der Kunde da sei ganz ruhig verhalten und ich durfte mit nicht einem einzigen Wort unterbrechen.
Und dann bekam ich meine ersten Unterricht im Kartenlegen. Ich verstand kein Wort aber die persönliche Zuwendung genoss ich sehr
(Fortsetzung folgt wenn gewünscht)