Hannahs Reise

Teil. 2: Odin ist gar kein Baum

Als Hannah die große Eiche ereichte, tat sie so, als sei sie rein zufällig dort. Sie ging den Weg auf und ab und würdigte den Baum zunächst keines Blickes. So vergingen wohl fünf Minuten bis Hannah schließlich den Baum ansah und sagte:

>>Hallo Odin, na hast du gut geschlafen? << Doch sie erhielt keine Antwort. Sie versuchte es ein weiteres Mal, ging einen Schritt näher an den Baum heran und fragte:

>>Odin? Bist du schon wach? << Es war schließlich durchaus möglich, dass Bäume von dieser Größe länger zum Aufwachen brauchen als kleine Mädchen. Doch auch diesmal erhielt sie keine Antwort.

Hannah dachte an ihren Plan, wer würde ihr helfen wenn nicht Odin, der doch schon alles gesehen und erlebt hatte? Hannah wusste sich keinen Rat mehr, sie setzte sich an den Fuß der Eiche und begann zu weinen und zwar nicht das Weinen das immer funktionierte, wenn Hannah ihren Papa überzeugen wollte, sondern ein echtes Weinen. Hannah war verzweifelt. Sie wusste sich keinen weiteren Rat und dachte immer an den kleinen Hund den sie nun wohl doch nicht bekommen würde.

Hannah saß schluchzend unter der Eiche als ein warmer Wind aufkam und die Sonne strahlend den Baumwipfel durchbrach.

>>Ich hoffe, du weinst nicht wegen mir Hannah! <<

>>Odin! Ich dachte du sprichst nicht mehr mit mir. << Hannah wischte sich ihre Tränen aus den Augen und lachte mit großen Augen in die Baumkrone hinein.

>>Warum sollte ich das wohl tun? Ich wollte nur sicher gehen, dass du heute keine Angst vor mir hast<< Immer wenn Hannah Odins Stimme vernahm, schien er von sehr weit weg zu ihr zu sprechen. Trotzdem mochte sie seine Stimme, sie war leise, sehr warm und freundlich und vor allen Dingen war sie sehr klar. Sie war so klar, dass Hannah immer ein leichter Schauer beim Klang seiner Stimme überkam.

>>Na, die Sache mit dem Schmetterling ging ja gerade noch mal gut<< lachte Odin.

>>Das hast du gesehen<< lachte Hannah und in diesem Moment fiel alles Unbehagen von ihr ab. Odin war von nun an Ihr Freund soviel stand fest.

>>Natürlich habe ich das gesehen, schließlich bin ich neugierig und an Späßen immer interessiert. <<

>>Wenn du alles siehst Odin, dann musst du mir unbedingt bei meinem Problem helfen. <<

>>Dann wollen wir Zwei einmal schauen, ob ich dein Problemlöser sein darf, aber zunächst sollten wir uns kennen lernen<<

>>Aber du kennst mich doch<< sagte Hannah.

>>Ja, aber möchtest du mich denn nicht auch einmal sehen? << entgegnete Odin. Hannah war verwirrt, >> Aber ich sehe dich doch << Odin lachte laut und Hannah hatte den Eindruck die Äste des Baumes würden sich zu diesem Lachen bewegen.

>>Entschuldige Hannah, ich meine natürlich nicht diese Eiche unter der du sitzt, sondern den richtigen Odin<<

>>Den richtigen Odin? << fragte Hannah ungläubig.

>>Vertraust du mir Hannah? <<

>>Ja<<

>>Dann schaue einmal über dir auf den Ast<< Hannah hob ihren Kopf und sah in die Baumkrone. Direkt über sich entdeckte sie einen großen schwarzen Vogel mit einem langen ebenso schwarzen Schnabel, der sie interessiert beobachtete.

>>Ich sehe nur einen großen schwarzen Vogel, der mich komisch anguckt<< Odin musste wieder lachen.

>>Da wollen wir aber hoffen, dass Hugin das nicht persönlich nimmt<<

>>Hugin? Heißt der Vogel so? << fragte Hannah.

>>Ja! Das ist sein Name und er ist weitaus mehr als ein schwarzer Vogel, denn er ist mein Gedanke. Aber dazu erzähle ich dir ein anderes Mal mehr<< Hannah war nun vollends verwirrt

>>Das verstehe ich nicht, aber ich vertraue dir<<

>>Gut! Hugin wird dich nun zu mir bringen. Hab keine Angst, denn ich bin auf jedem deiner Schritte bei dir und nun folge dem Vogel. <<

Hugin flog von dem Ast auf dem er saß hinunter zu Hannahs Füßen. Hannah sah den schwarzen Vogel misstrauisch an. Hugin jedoch hüpfte schnurstracks voran. Nachdem Hannah sich von ihrem Unbehagen gelöst hatte, folgte sie dem Vogel Richtung Wald.

Hannah war erstaunt, mit welcher Geschwindigkeit sich Hugin fortbewegte. Hugin saß nun auf einem Baumstumpf und deutete mit dem Schnabel auf zwei alte und sehr große Tannen. Hannah kam näher und hatte das Gefühl, wieder diese vertraute Wärme zu spüren. Sie bog die Zweige auseinander und blickte auf eine wunderschöne, mit Wildblumen überwucherte Waldlichtung. Das Sonnenlicht fiel gebündelt zwischen den Ästen der Baumkronen hinab und erfüllte die Lichtung mit einem märchenhaften Glanz. Hannah war gefangen von dieser Stimmung und sicher hätte sie noch einige Zeit damit verbracht sich diesen Eindrücken hinzugeben, wenn nicht Hugin mit einem lauten Schrei auf die Lichtung geflogen wäre.

>>Hugin, was soll denn das? Warum erschrickst du unseren netten Besuch? << Hannah stand da wie versteinert, die Stimme war genau in ihrem Rücken. Sie wollte ganz stark sein, hatte aber Angst sich umzudrehen. Hugin unterdessen hüpfte forsch auf Hannah los und sah sie auffordernd, mit leicht geneigten Kopf an. Hannah hatte den Eindruck, er wollte sie seinem Herren vorstellen und so hüpfte Hugin, ohne sie aus den Augen zu lassen an ihre Seite und krächzte leise, als würde er sie rufen.

Hannah nahm ihren ganzen Mut zusammen und drehte sich langsam um. Sie hatte ihre Augen fest auf Hugin gerichtet und hatte Angst vor dem was sie erwarten würde, wenn sie aufblickte. Hugin merkte, wie sich Hannah auf ihn konzentrierte und flog ein wenig auf. Hannah hatte diesen Schachzug gar nicht bemerkt und blickte nun auf Odin.

>>Hallo Hannah, ich bin froh, dass wir uns endlich persönlich kennen lernen. << Hannah war fasziniert von dem Mann, der dort vor ihr auf einem vor langer Zeit gefälltem Baumstamm saß.

>>Hallo Odin, ich freue mich auch. <<

Odin hatte einen braunen Schlapphut und einen alten braunen Umhang an. Hannah vermochte nicht zu sagen, wie alt er wohl sei. Er hatte einen mit grauem Haar durchzogenen Bart und seine Haut war von der Sonne leicht gebräunt und vom Wetter gegerbt. Hannah konnte seine Augen nicht erkennen, weil die Krempe seines Hutes einen Schatten auf sein Gesicht warf. In der einen Hand hielt er einen mit geheimnisvollen Zeichen verzierten Wanderstab und an seiner anderen Hand trug er einen wunderschönen Ring mit einem Edelstein, der im Schein der Sonnenstrahlen magisch funkelte.

>>Wohnst du hier? << fragte Hannah.

>>Gewissermaßen ja!<<

>>Aber ich kann dein Haus nicht sehen. <<

>>Mein Haus ist auch nicht hier im Wald. <<

>>Aber du hast doch gesagt, du wohnst hier! <<

>>Ich sagte gewissermaßen, denn im Moment bin ich hier zu Besuch, genauer gesagt wegen dir. << Hannah war verwirrt, warum wegen ihr? Odin schien ihre Gedanken gelesen zu haben und sagte:

>>Ja, ich hatte den Eindruck, du könntest meine Hilfe benötigen. <<

>>Ach ja! << rief Hannah lauthals aus:

>>Du solltest mir ja bei meinem Hund helfen und…. << Hannah überlegte kurz. >>Odin? Bist du ein Zauberer? << Odin musste lachen und für einen Moment konnte Hannah sein ganzes Gesicht sehen. Odin hatte freundliche graugrüne Augen. Augen? Eigentlich hatte Hannah nur ein Auge gesehen, das andere Auge hatte Odin verschlossen.

>>Ja Hannah! Einige Menschen nennen mich auch Zauberer oder Magier! <<

>>Aber dann könntest du mir ja den kleinen Hund herbei zaubern! <<

>>Hattest du in Mannheim nicht auch einen ganz wichtigen Wunsch? << Hannah überlegte und entschied sich dafür, den Mannheim-Wunsch als nicht mehr wichtig einzustufen.

>>Ach weißt du Odin, da wusste ich ja noch nichts von dem kleinen Hund und von dir! << Odin sah sie nachdenklich an und sagte schließlich:

>>Siehst du Hannah, wie sich mit der Zeit alles verändert. Die Jahreszeit ändert das Wetter, das Alter ändert das Aussehen und die Gedanken und Aufgaben ändern die Wünsche. << Hannah verstand das nicht und dachte angestrengt über das Gesagte nach.

>>Also hat Hugin damit zu tun? <<

>>Nein! << lachte Odin, >>Hugin ist für meine Gedanken zuständig Was ich meine ist, ist dir der Hund so wichtig, dass du ihn wirklich haben möchtest? Bist du dir wirklich ganz sicher? Denke über meine Worte nach und überlege dir alle Situationen in denen das Zusammenleben mit einem Hund vielleicht nicht so angenehm ist. Und vor allen Dingen möchte ich, dass du auf die Dinge hörst, die deine Eltern dir sagen und darüber nachdenkst. <<

Hannah wurde traurig. Odin war also auch einer dieser Erwachsenen, die alles emotionslos und vernünftig betrachteten, vor allen Dingen die Hundehaltung.

>>Du scheinst mich nicht verstanden zu haben, natürlich werde ich dir meine Hilfe anbieten, doch zuvor möchte ich, dass du genau über den Wunsch nachdenkst. Denn hätte ich dir in Mannheim geholfen, dann hättest du den kleinen Hund niemals kennen gelernt. << Wohl oder übel musste Hannah sich eingestehen, dass Odin Recht hatte.

>>Na gut, << brachte Hannah zögerlich hervor. Sie war jetzt sehr darauf bedacht, keinen Fehler zu machen. >>Aber wenn ich Morgen immer noch den Hund haben will, dann bekomme ich ihn! <<

>>Wenn du Morgen den Hund immer noch haben möchtest, dann unterhalten wir uns darüber, << schloss Odin die Diskussion für das heutige Treffen ab. >> So Hannah, ich denke, das soll für Heute reichen. Hugin wird dich nach Hause führen und wenn du möchtest, dann treffen wir uns Morgen wieder bei der Eiche. Hugin wird dich dort erwarten und dich wieder zu mir bringen. <<

>>Aber ich weiß doch jetzt wo du bist, dann kann ich doch auch allein kommen? <<

>>Nein, das wirst du nicht, denn der Weg ist allein zu gefährlich und ich möchte nicht, dass Geri und Freki dich allein treffen. Und deswegen wird Hugin dich begleiten. <<

>>Wer sind denn Geri und Freki? << wollte Hannah wissen.

>>Wenn es soweit ist, dann werde ich sie dir vorstellen. Doch für den Moment musst du nicht mehr wissen, als das sie sehr grimmig und launisch sein können. Also beherzige meinen Ratschlag und denke immer daran, die Situation mit dem Schmetterling habe ich auch gesehen. << Odin stand auf und Hannah war erstaunt, wie groß Odin war. Er stützte sich auf seinen Wanderstab und ging mit schweren Schritten auf Hannah zu. Zwischenzeitlich hatte Hugin auf Odins Schulter Platz genommen und es sah so aus, als würde er Odin Geheimnisse in Ohr flüstern. Zaghaft streckte Hannah ihre kleine Hand aus und sagte:

>>Dann bis Morgen Odin, bestimmt warten meine Eltern schon auf mich. <<

>>Ja bis Morgen und mache dir keine Sorgen, niemand wird mit dir schimpfen<< sagte Odin als er vorsichtig Hannahs Hand zum Abschied schüttelte.

Hannah folgte Hugin hinaus aus der Lichtung und auf das Haus der Eltern zu. Hugin blickte Hannah an und es hatte den Anschein, dass die beiden Freundschaft miteinander geschlossen hätten. Hannah überlegte angestrengt, wie sie ihrer Mutter die lange Abwesenheit erklären sollte. Von Odin konnte sie ihrer Mutter nicht erzählen, denn dann würde ihre Mama sicher jeden weiteren Besuch verbieten.

Hannah öffnete die Haustür und Hans-Hermann saß immer noch mit Mama am Esstisch und sie tranken Kaffee.

>>Na Hannah, hast du schon keine Lust mehr zu spielen? << Schon? Hatte Mama denn gar nicht bemerkt, wie lange Hannah draußen im Wald gewesen war? Aber schließlich erinnerte sie sich an Odin, der hatte ihr zum Abschied erzählt, dass Mama nicht schimpfen würde. Hannah würde Odin Morgen fragen, wie er das gemacht hatte. Aber für Heute hatte sie wirklich genug mysteriöse Erfahrungen gemacht.

>>Nein! Ich wollte noch ein wenig in meinem Zimmer spielen. <<

Hannah ging die Treppe hinauf und überlegte, wem sie ihre Erlebnisse am besten anvertrauen könnte. Schließlich entschied sie sich für ihren Teddy. Hannah setzte sich auf ihr Bett, setzte den Teddy vor sich und erzählte ihm die ganze Geschichte vom Anfang bis zum Ende. Nur die Passage der Nacht ließ sie aus, denn die kannte der Teddy schon. Er war es ja, der unter dem Baum gelegen hatte.

Die Zeit verging. Hannah erzählte ihrem Teddy alle Einzelheiten von der Begegnung mit Odin und Hugin, von der Lichtung und all ihren Eindrücken. Sie war so aufgeregt, dass ihre Mama auf einem Mal in ihrem Zimmer stand und sie voller Sorge fragte, ob alles in Ordnung sei. Hannah erklärte ihrer Mama, dass sie mit ihrem Teddy nur eine wichtige Sache besprechen musste und ihre Mutter schien beruhigt.

>>Mama? Wer ist eigentlich Odin? <<

>>Tja, soweit ich weiß, war Odin ein germanischer Gott, so eine Art Obergott, aber leider habe ich damals in der Schule nicht so gut aufgepasst. Am besten fragen wir Papa nachher. <<

Hannahs Mama verließ das Kinderzimmer und Hannah saß mit offenem Mund und großen Augen auf ihrem Bett. Odin ein Gott? Nein, das konnte nicht sein. Zum einen hatte sie ihn angefasst und das war bei einem Gott bekanntlich unmöglich, zum anderen hatte Odin ihr auch gesagt, er sei ein Zauberer. Wenn Odin ein Gott wäre, dann hätte er bestimmt schönere Kleider getragen. Aber wahrscheinlich heißt er einfach nur wie ein Gott und ist in Wirklichkeit ein Zauberer. Hannah beschloss sich der Meinung ihrer Mutter anzuschließen und auf die Heimkehr ihres Vaters zu warten. Hannah spielte noch ein wenig mit ihrem Teddy und darüber musste sie wohl eingeschlafen sein. Sie wachte auf, als ihr Vater an ihrem Bett stand und sie vorsichtig weckte.

>>Na, willst du gar nicht mit uns essen? <<

>>Doch ich komme schon. <<

Hannah freute sich ihren Vater zu sehen und vor allen Dingen freute sie sich auf die neuen Geschichten aus der Tierarztpraxis. In diesem Zusammenhang, so hoffte Hannah, würde sie Ihren Vater sicherlich von den Vorteilen eines Hundes überzeugen können. Hannah ging die Treppe hinunter in die Diele und bereits auf den Treppenstufen stieg ihr der Duft herrlich frischer Pfannkuchen in die Nase. Hannahs Eltern saßen schon am Esstisch und unterhielten sich über die Ereignisse des Tages. Papa berichtete davon, wie ihn heute fasst ein Pferd getreten hatte und Mama erzählte, wie schwierig es war, die richtigen Kartons in dem herrschenden Chaos zu finden. Hannah saß ganz still daneben, lauschte aufmerksam ihren Eltern und war begeistert von Mamas Pfannkuchen. Hannah verlor sich in ihren eigenen Gedanken. Sie dachte an Hans-Hermann, an Tessa und ihre Babys, an den süßen kleinen Hund, den sie so gern ihren eigenen nennen würde, an Hugin ihren neuen Freund und natürlich an Odin. Hannah wusste sehr wohl dass Mama sie ständig ermahnte, wenn sie auf dem Stuhl kippelte aber beim Kippeln konnte sie nun einmal besser nachdenken. Das Mama diesmal nicht schimpfte lag wohl daran, dass sie sich mit Papa unterhielt. Als Hannah gerade daran dachte, wie sie erschrak als sie Odins Stimme in ihrem Rücken hörte, war es auch schon passiert und wo eben noch ein kleiner Lockenkopf mit einem Mund voll Pfannkuchen saß, war nun gähnende Leere. Der Knall, den der Stuhl verursachte war um so lauter, da der Schall sich in der großen Diele besonders gut auszubreiten schien.

>>Hannah! << rief ihre Mama ganz aufgeregt und lief um den Tisch. >>Ist dir etwas passiert? Tut dir etwas weh? << Hannahs Mama machte sich große Sorgen

>>Ja! << sagte Hannah. >>Ich hab mich am Pfannkuchen verschluckt! << Im Fallen hatte Hannah versucht ihr Gleichgewicht wieder herzustellen, indem sie nach allem griff, was ihr einen gewissen Halt versprach. Leider griff sie nach dem Marmeladenglas und dies war nun wirklich ein denkbar schlechter Rettungsanker für ein fünfjähriges Mädchen. Papa musste furchtbar lachen, als er Hannah sah, wie sie mit der Marmelade beschmiert ihren Stuhl aufstellte.

>>Wenn du einmal groß bist, dann brichst du bestimmt jeden Rekord im Schminken, sowohl in der Geschwindigkeit, als auch in der künstlerischen Ausstrahlung. << sagte Papa, der vor Lachen kaum sprechen konnte. Nun mussten auch Hannah und ihre Mama laut lachen.

Nachdem das Abendbrot abgeräumt und Hannah von der klebrigen Marmelade gereinigt war, besuchte Hannah ihren Vater, der in der Diele in einem Sessel saß und ein Buch las. Hannah stellte sich vor das Regal mit den vielen Büchern und dachte darüber nach, ob es hier wohl auch ein Buch gab, in dem Odin vorkam. Sie ärgerte sich darüber, dass sie noch zu klein war, denn wenn sie schon zur Schule gehen würde, dann könnte sie auch lesen und würde alles über Odin wissen.

>>Kann ich dir helfen? << fragte Papa.

>>Ja! Ich suche ein Buch über Odin <<

>>Ich habe mich schon gefragt, wann diese Frage kommt << sagte Papa und sah Hannah nachdenklich an.

>>Weißt du Hannah, damals als ich noch zur Schule ging habe ich mich auch sehr für germanische Götter interessiert. Wenn du möchtest, dann erzähle ich dir was ich noch weiß. <<

>>Oh ja! << rief Hannah und setzte sich zu ihrem Vater auf den Schoß.

>>Odin, << begann Hannahs Vater die Erzählung. >>Es ist viele, viele Jahre her, da war Odin ein Gott mit vielen Namen und Gestalten. Die Menschen von damals, die noch keine Autos und Fernseher kannten, diese Menschen glaubten an Odin und die anderen Götter, wie du an den lieben Gott. Man nannte Odin auch den Gott der Asen. <<

>>Was sind denn Asen? << fragte Hannah.

>>Asen nannte man die Bewohner von Asgard, es waren Götter wie Odin und seine Frau Frigg oder seine beiden Söhne Thor und Tyr <<

>>Davon hat er mir gar nichts erzählt, << sagte Hannah ganz in Gedanken.

>>Was? << fragte Papa.

>>Davon hat Gudrun mir gar nichts erzählt, << verbesserte sich Hannah rasch. >>Und wo haben die Menschen gewohnt, die an Odin geglaubt haben? << fragte Hannah ihren Papa

>>Die Menschen haben in Midgard gelebt. Damals wusste man noch nicht, dass die Erde ein Planet und rund ist. Die Germanen, also unsere Vorfahren glaubten, dass ein riesiger Baum alle Welten in sich vereint. Die Menschen dachten, dass es eine Esche sei, in der sie lebten, die mit ihrem Stamm die Weltenachse darstellt. <<

>>Was ist denn eine Weltenachse und auf einem Baum kann man doch nicht wohnen? << fragte Hannah ungläubig.

>>Die damaligen Menschen haben geglaubt, dass ein riesiger Baum aus der Erde wächst und zwar genau aus der Mitte heraus. Der Baum ist so groß, dass seine Krone soweit in den Himmel hinaufreicht, dass man das Ende mit dem bloßen Auge nicht mehr sehen kann. Man sprach von der Weltenesche Yggdrasill. In ihrer unmittelbaren Nähe verteilt, gab es neun Welten, in denen jeweils andere Wesen wie Götter, Riesen, Zwerge oder auch Menschen lebten. Aber fürs erste wollen wir uns heute mit Asgard, der Welt von Odin, und Midgard, der Welt der Menschen befassen. <<

>>Konnte Odin denn die Menschen besuchen? <<

>>Ja das konnte er und immer wenn er das tat, dann verkleidete er sich als Wanderer. Er trug dann einen braunen unscheinbaren Umhang und einen braunen Schlapphut. Für gewöhnlich hatte er auch einen Stock dabei und begleitet wurde er von zwei Raben, einer hieß Munin und war sein Gedächtnis, an den anderen kann ich mich leider nicht mehr erinnern, auf jeden Fall war er der Gedanke. <<

>>Der andere heißt Hugin und der erzählt Odin alles! << platzte es aus Hannah heraus. Papa sah sie sehr nachdenklich an und fragte etwas ungläubig:

>>Und woher weißt du das? <<

>>Ach das hab ich irgendwo gehört. << Hannah merkte, dass diese Lüge nicht besonders überzeugend war und setzte schnell hinzu: >>Ach weißt du Papa, ich bin auch schon ganz müde, aber morgen erzählst du mir doch wieder mehr von Odin! nicht wahr? <<

>>Ja gerne, aber nun sag deiner Mama gute Nacht und schlaf schön. << Hannah gab ihrem Papa einen Kuss und ging ins Wohnzimmer, wo ihre Mutter gerade ihre Pinsel, Farben und Zeichenutensilien ordnete. Hannah sagte ihrer Mama gute Nacht und auf dem Rückweg durch die Diele sah sie ihren Vater, wie er in einem sehr dicken alten Buch blätterte und nachdenklich den Kopf schüttelte.

Am nächsten Morgen fuhr Hannah mit ihrer Mutter in das Dorf zum Einkaufen. Die Leute hier waren alle sehr nett und Hannahs Mama hatte richtig gute Laune, in Mannheim war Mama oft genervt, wenn sie mit Hannah durch die großen Einkaufsläden hetzte. Auf dem Rückweg zeigte Mama Hannah den Spielkreis, in den sie nach den Sommerferien gehen sollte. Hannah war immer gern zum Kindergarten gegangen, aber auf einmal hatte sie das Gefühl, sie hätte den ganzen Tag soviel zu tun, dass sie gar keine Zeit mehr dafür hatte. Sie vermied es aber darüber eine Diskussion mit ihrer Mutter zu beginnen.

>>Wollen wir auf dem Nachhauseweg Hans-Hermann besuchen? << fragte Hannah.

>>Wenn du möchtest, kann ich dich bei Hans-Hermann absetzen, vorausgesetzt er hat Zeit für dich. <<

>>Aber wenn du mitkommst, dann kann ich dir doch den kleinen Hund zeigen, << bemerkte Hannah zaghaft.

>>Ja natürlich, damit wir den ganzen Nachmittag damit verbringen über deinen zukünftigen Hausgenossen zu sprechen. Hannah im Moment möchte ich die Entscheidung darüber nicht fällen. <<Hannah wusste nicht, ob dieser Satz positiv oder negativ war. Auf jeden Fall enthielt er die Worte „zukünftig“ und „Hausgenosse“. Hannah entschied sich für eindeutig positiv und beschloss ihre Mama nun nicht länger zu nerven.

Wie versprochen setzte Mama Hannah auf dem Heimweg bei Hans-Hermann ab. Dieser war gerade damit beschäftigt die Pferde auf die Weide zu führen. Mama fragte Hans-Hermann, ob Hannah ein wenig bei ihm bleiben dürfte und Hans-Hermann freute sich darüber, nun tatkräftige Hilfe zu erhalten. Mama verabschiedete sich von den beiden und fuhr nach Hause. Hannah durfte Hans-Hermann dabei helfen die Pferde auf die Weide zu führen. Hans-Hermann führte einen großen Hengst an der Kordel auf die Weide und Hannah durfte mit einer kleinen braunen Stute, die sie ebenfalls an einem Strick führte, hinterher gehen. Hannah war so stolz darüber, wie sie dieses Pferd führte, dass sie es am liebsten mit nach Hause genommen hätte, um ihrer Mutter zu zeigen, wie gut sie mit Tieren umgehen kann.

>>So, nun wollen wir die beiden mal frühstücken lassen, << sagte Hans-Hermann und nahm Hannah den Strick aus der Hand. >>Du bist doch bestimmt nicht nur wegen mir hier, oder? << lachte Hans-Hermann. Hannah blickte den Bauern grinsend an und fragte:

>>Darf ich sie sehen? <<

>>Na worauf wartest du denn noch, ich glaube da hat schon jemand Sehnsucht nach dir. << Und als Hans-Hermann das gesagt hatte, war Hannah auch schon auf dem Weg zur Scheune. Hannah wusste was sich gehört und deshalb wurde Tessa selbstverständlich überschwänglich begrüßt, doch dann lief sie zur Welpenkiste. Durch ein Loch im Dach fiel ein gebündelter Sonnenstrahl auf die Welpenkiste und in diesem Licht saß Hannahs kleine Freundin wie im Scheinwerferlicht. Aber nicht lange, da wurde das Hundebaby auch schon von Hannah auf dem Arm gehalten und Hannah konnte gar nicht genug davon bekommen ihre Nase in das weiche Hundefell zu stecken. Hans-Hermann betrat die Scheune und war ganz leise, schließlich wollte er auf keinen Fall die Unterhaltung stören, die Hannah mit Tessa und dem Welpen führte. Hans-Hermann verstand zwar nichts von dem was Hannah Tessa zuraunte, er war jedoch überzeugt, dass Tessa jedes Wort verstand.

>>Na Hannah, hat sie dich wieder erkannt? << fragte Hans-Hermann.

>>Oh ja! das glaube ich ganz bestimmt. Die beiden haben mir ganz doll mein Gesicht abgeleckt. <<

>>Na dann wird es wohl Zeit, dass die Kleine größer wird, damit ihr zwei auf der Weide spielen könnt. << Hannah stellte sich vor, wie sie mit dem kleinen Hund über die Weiden laufen und mit Bällen und Stöcken spielen würde. Dann wurde sie traurig, denn Mama hatte ihre Zustimmung immer noch nicht fest gegeben. Als Hans-Hermann das merkte, sagte er:

>>Weißt du Hannah, deine Mama hat zwar noch nicht ja gesagt, aber ein eindeutiges nein war es auch nicht. Soll ich dich jetzt mit dem dicken Taxi nach Hause bringen? << Hannah starrte Hans-Hermann verwundert an. Die Sache mit Mama hatte ihr neuen Mut gegeben und vielleicht wusste Hans-Hermann auch schon mehr als sie, aber was war ein dickes Taxi?

>>Was meinst du denn damit? <<

>>Damit meine ich, ob wir die kleine braune Stute bitten wollen, dich auf ihrem Rücken nach Haus zu bringen? <<Hannah brauchte einen kleinen Moment um ihre Freude und Überraschung darüber in Einklang zu bringen und rief dann:

>> Oh ja! Toll, lass uns los. << Hannah verabschiedete sich von den Hunden, versprach so bald wie möglich wieder zu kommen und folgte Hans-Hermann zur Pferdeweide. Als die beiden dort ankamen, hatte Hannah aber doch ein bisschen Angst. Hans-Hermann bemerkte das sofort und sagte:

>>Du brauchst keine Angst zu haben, Susis Rücken ist so breit wie ein Sofa und außerdem bin ich ja dabei und führe das Pferd, du wirst schon nicht herunterfallen. << Hannah hatte keine Zeit über das soeben Gesagte nachzudenken, denn im nächsten Moment wurde sie auch schon von Hans-Hermann auf das Pferd gesetzt. Zuerst traute sich Hannah gar nicht zu atmen, weil sie Angst hatte das Pferd würde jeden Moment davon laufen. Aber nach kurzer Zeit hatte sie diese Angst überwunden und fühlte sich auf dem, von Hans-Hermann geführten Pferd, wie eine Königin. Jeden Tag gab es bei Hans-Hermann etwas Neues zu erleben, das war natürlich ein weiterer Grund, warum sie keine Zeit mehr für den Kindergarten hatte.

Als die drei die Einfahrt auf das Haus zuritten, war Mama gerade damit beschäftigt leere Kartons in die Scheune zu bringen. Mama freute sich und klatschte begeistert in die Hände, als sie Hannah hoch zu Ross und mit diesem stolzen Gesichtsausdruck sah.

>>Ich bin begeistert Hannah << rief Mama stolz und an Hans Hermann gewandt:

>>möchtest du einen Kaffee Hans-Hermann? <<

>>Ja gerne und Hannah - bringt schon einmal Susi auf die Weide nach vorn. <<

>>Das halte ich für keine gute Idee! << sagte Hannahs Mama, aber Hans-Hermann zeigte sich völlig unbeeindruckt, hob Hannah vom Pferd und sagte an Hannahs Mama gewandt:

>>Du wirst dich wundern, was Hannah alles kann. So Hannah, bring sie auf die Weide, genau wie vorhin. <<Hannah fasste ganz stolz nach den Zügeln und nach einem kleinen Ruck folgte ihr Susi bereitwillig.

Hannah ging mit Susi am Zügel die Einfahrt hinauf. Links und rechts der Einfahrt befanden sich zwei kleinere Weiden. Hannah überlegte lange, ob sie Susi nun auf die linke oder auf die rechte Weide bringen sollte. Das lag unter anderem auch daran, dass Hannah genau schaute, auf welcher der Weiden das saftigere Gras zu finden war. Susi nahm ihr schließlich diese Entscheidung ab, indem sie mit Hannah am Zügel auf die rechte Weide stapfte.

>>Also gut, wenn du meinst << sagte Hannah, schloss das Gatter und lief zurück zum Haus. Voller Stolz erzählte Hannah ihrer Mama und Hans-Hermann, dass sie Susi sicher auf die Weide gebracht hatte und dass sie überdies auch nicht vergessen hatte das Gatter zu schließen.

>>Darf ich noch ein bisschen im Garten spielen? << fragte Hannah ihre Mama.

>>Natürlich darfst du das, aber du kennst die Regeln. << Hannah lachte, nickte mit dem Kopf und kurze Zeit später war sie auch schon verschwunden. Sie freute sich darauf, Hugin und Odin wieder zu sehen. Sie hoffte ganz stark darauf, dass Hugin da sein würde, um sie zu Odin zu bringen.

Hannah ereichte die Eiche. Es war ein wunderschöner Nachmittag, die Farben des Waldes wirkten heute ganz besonders intensiv. Hannah setzte sich unter die Eiche, schloss ihre Augen und genoss die warme Luft, die so wunderbar nach Waldboden duftete. Ein lautes Krächzen zerriss die Stille und Hannah erschrak fürchterlich. Sie schlug die Augen auf und erblickte Hugin, der aufgeregt vor ihr herum hüpfte.

>>Musst du mich denn so erschrecken? << rief Hannah und ihr Herz raste. Hugin blickte sie erstaunt und neugierig an. Vermutlich hatte er sich genauso erschrocken.

>>Bestimmt hast du es nicht so gemeint. Wollen wir los und Odin besuchen? << Hugin schien Hannah zu verstehen, er hüpfte, kaum hatte sie das gesagt, den bekannten Weg auf die hohen Tannen zu. Diesmal war Hannah vorbereitet. Sie lief ebenso schnell wie Hugin, der allerdings immer, wenn Hannah ihn fast erreicht hatte, mit wenigen Flügelschlägen den Abstand erneut vergrößerte. Hannah wurde wütend und lief jetzt so schnell sie konnte. Als Hannah gerade ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte, blieb Hugin abrupt stehen und blickte Hannah zufrieden an. Doch die Zufriedenheit wich schlagartig aus seinem Gesicht, als er Hannah auf sich zustürzen sah und in seinen kleinen schwarzen Augen machte sich so etwas wie Angst breit. Auch Hannah bekam Angst, der Abstand war nun nicht mehr sehr groß. Vermutlich würde sie bei dem Versuch zu bremsen auf Hugin treten. Das galt es unbedingt zu vermeiden. Hannah entschied sich dazu, die Geschwindigkeit beizubehalten und über Hugin hinweg zu springen. Hugin schien ihre Gedanken gelesen zu haben und machte sich ganz klein, er sah nun aus wie ein kleiner Maulwurfshügel. Hannah sprang ab und verfehlte um Federbreite den Raben. Beim Aufsetzen auf den weichen Waldboden verlor sie jedoch ihr Gleichgewicht und purzelte, genau zwischen den hohen Tannen hindurch, auf die Lichtung. Als Hannah sich wieder aufgerappelt hatte, blickte sie genau in das völlig verdutzte Gesicht Odins, der mit dem Raben Munin auf der Schulter dasaß. Es war völlig ruhig auf der Lichtung, nur einige Vögel sangen leise. Hannah hatte den Eindruck, dass sich sowohl Odin als auch Munin das Lachen kaum noch verkneifen konnten. Aber sie hatte leider keine Zeit darüber nachzudenken, denn in diesem Moment flog Hugin, völlig zerzaust und zeternd auf die Lichtung, schlug wild mit den Flügeln und hüpfte ohne Pause laut schimpfend um Hannah herum.

>>Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich auf dich drauf getreten wäre? << schimpfte nun auch Hannah. Der Rabe setzte sich schmollend auf einen Ast, drehte allen Anwesenden seinen Rücken zu und ordnete sich die Federn. Das war der Moment in dem Odin sich nicht mehr beherrschen konnte, er schüttelte sich so sehr vor Lachen, dass selbst Munin sich nicht mehr auf seiner Schulter halten konnte und sich auf einem nahen Ast in Sicherheit brachte.

>>Danke Hannah, es ist schon sehr lange her, dass ich mich so amüsiert habe. <<

>>Sehr witzig << schmollte Hannah, aber als sie sah wie Odin versuchte, sein Lachen zu unterdrücken musste sie auch lachen und so vergingen wohl zwei bis drei Minuten bis sie sich die Tränen aus den Augen gewischt hatten und Odin sagte:

>>Guten Tag Hannah, ich fühle mich geehrt, dass du es gar nicht abwarten konntest mich zu sehen. <<

>>Hallo Odin, ich finde aber Hugin hat Schuld. << Dieses wurde mit einem unwirschen Krächzen von Hugin kommentiert, der immer noch damit beschäftigt war, seine Federn zu ordnen.

>>Nun ja, ich glaube Hugin sieht das anders, aber wie dem auch sei, ich freue mich sehr, dich wieder zu sehen. <<

>>Sag mal Odin, wie hast du das mit der Uhr gemacht? << fragte Hannah Odin mit großen Augen.

>>Welcher Uhr? << fragte Odin.

>>Na, als ich nach Hause gekommen bin, war es gar nicht viel später als vorher. <<

>>Weißt du Hannah, die Zeit ist eine Illusion. Die Erwachsenen lieben es, sich mit der Vergangenheit oder mit der Zukunft auseinander zu setzen. Sie sagen oft, dass damals alles besser war, oder, dass es bald besser wird. Wenn wir aber versuchen, uns im gegenwärtigen Moment ganz stark auf alles zu konzentrieren, dann vergeht die Zeit viel langsamer, als wenn wir uns mühsam daran erinnern, was einmal war, oder uns damit quälen Luftschlösser in der Zukunft zu bauen. <<

>>Heißt das, ich soll mich nicht erinnern? <<

>>Nein das heißt es nicht. Nur du solltest versuchen den gegenwärtigen Moment besonders stark zu erleben, mit all deinen Sinnen. Dann ist auch das spätere Erinnern nicht so mühsam, weil dir der Moment immer noch gegenwärtig erscheint. <<

>>Ich verstehe das nicht. << Odin konnte es ihr nicht übel nehmen, es war schon zu lange her, dass er etwas erklärt hatte und bei diesem kleinen Mädchen wurde er auf eine harte Probe gestellt.

>>Dann gib mir ein wenig Zeit, damit ich versuchen kann, ein besseres Beispiel für die Zeit zu finden. <<

>>Na gut, aber eine Frage habe ich, die du mir jetzt beantworten musst. <<

>>Und die wäre? <<

>>Warum hast du mir nicht erzählt, dass du ein Gott bist? <<

>>Hättest du mir denn geglaubt? <<

>>Ich weiß nicht, aber so hast du gelogen. <<

>>Warum ? du hast doch nicht gefragt, ob ich ein Gott bin. << Damit hatte Odin natürlich recht, schließlich hatte Hannah Odin gefragt, ob er ein Zauberer sei.

>>Na gut, Entschuldigung wegen dem Lügner, aber warum hast du dann so alte Sachen an? <<

>>Ganz einfach, würdest du einem Mann, der auf einem wunderschönen Pferd, mit blitzendem Helm, schönem Schmuck und einem samtenem Umhang daherkommt glauben, er sei ein armer Wanderer? <<

>>Nein ich glaube nicht, << sagte Hannah nachdenklich.

>>Siehst du und deswegen ziehe ich dieses alte Gewand an, wenn ich den Wunsch verspüre die Menschen zu besuchen. <<

>>Und warum besuchst du die Menschen? Ist es denn im Himmel nicht viel schöner? <<

>>Weißt du Hannah, man nennt mich zwar den Allvater, aber allwissend bin ich nicht. Ich komme gern zu den Menschen, um mehr über sie zu erfahren und die Menschen zu verstehen. Mich interessiert zum Beispiel, wie es dazu kam, dass die Menschen uns Götter vergaßen und sich nicht mehr an uns erinnern können. Darum habe ich dich ausgewählt, um von dir zu erfahren warum das so ist. <<

>>Du willst etwas von mir lernen? Weißt du denn nicht, dass ich ein Kind bin und selber noch viel lernen muss? << fragte Hannah erstaunt.

>>Doch, das ist mir sehr wohl bewusst, doch gerade kleine Kinder haben die Gabe, Dinge wahrzunehmen die den Erwachsenen leider verborgen bleiben, da sie das Kind in sich vergessen haben und auf der Suche nach Erfolg und finanzieller Erfüllung an den schönen und geheimnisvollen Dingen der Welt einfach vorbei hasten ohne sie zu erblicken.<<

>>Das verstehe ich nicht. << sagte Hannah nachdenklich.

>>Dann lass mich dir ein kleines Beispiel geben. Stelle dir vor, Hugin würde dich nach der Farbe der Sonne fragen, wie wäre dann deine Antwort? <<

>>Gelb << sagte Hannah wie aus der Pistole geschossen.

>>Richtig << erwiderte Odin.

>>Und weißt du auch was ein Erwachsener darauf antworten würde? <<

>>Gelb natürlich! <<

>>Das wäre sehr schön, nur leider würde ein Erwachsener sich zunächst erst einmal umblicken und sich fragen, ob ihm ein Streich gespielt worden ist und sich danach dafür entscheiden, dass er sich Hugins Stimme nur eingebildet hätte. Am Ende des Tages hätte er die Frage auch schon wieder vergessen und würde weiter seinem Tagesgeschäft nachgehen. <<

>>Aber warum machen die Erwachsenen das? << fragte Hannah

>>Weil man den Kindern, wenn sie größer werden, erzählt, es würde keine sprechenden Tiere geben, auch Zauberei und Magie gibt es nicht. Elfen und Regenbogenbrücken gibt es nicht. Ja selbst uns Götter und mich gibt es nicht. <<

>>So ein Quatsch << entrüstete sich Hannah

>>Wir sprechen doch miteinander, also gibt es dich auch! <<

>>Siehst du Hannah und das ist die Antwort auf deine Frage. Kinder haben ihre Fantasie und die Gabe hinter den Horizont zu sehen, um Dinge zu verstehen, für die ein Erwachsener ein Leben lang bräuchte. Es wäre nur sehr schön, wenn die Menschen wieder Kinder würden oder sich zumindest das Kind in sich bewahren würden, dadurch wäre vieles auf dieser Welt einfacher. <<

>>Aber Odin du siehst so traurig aus, ich verspreche dir, dass ich immer ein Kind bleibe. <<

>>Danke Hannah, aber es wäre schon sehr schön, wenn du dich auch als Erwachsene an deine Kinderträume erinnern würdest und dir jene Gedanken wie einen Schatz bewahrst. <<

>>Können denn nicht einfach alle Kinder dieser Welt mit ihren Eltern reden und ihnen sagen, dass sie sich an Früher erinnern sollen? << fragte Hannah besorgt.

>>Ja Hannah, das wäre sehr schön, nur leider kommt es nicht sehr häufig vor, dass Eltern freiwillig von ihren Kindern lernen. <<

>>Aber war das denn immer so? <<

>>Nein Hannah, in meiner Welt vor sehr langer Zeit war ich ein mächtiger Gott, der Gott der Asen. Es gab zwei Götterwelten, sie nannten sich Asgard und Vanaheim. In jeder dieser Welten lebte ein Göttervolk, in Vanaheim lebten die Vanen und in Asgard die Asen. <<

>>Und du warst der Boss? <<

>>Gewissermaßen war ich der Boss von Asgard. Aber wie ich schon sagte, war ich nie allwissend oder unfehlbar. Es ist eine lange Geschichte wie es dazu kam, dass die Menschen auf diese Welt kamen. Davon werde ich dir zu gegebener Zeit mehr erzählen. Zunächst reicht es wenn du weißt, dass ich mit meinen zwei Brüdern Midgard erschuf und die Menschen dort ansiedelte Das freute die Menschen sehr, wir gaben ihnen den Tag und die Nacht, Sonne und Mond und wir beschützten sie und deshalb glaubten die Menschen an uns. Es gab keinen Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern. Groß und Klein glaubte an die Macht von Asgard und die Menschen beteten zu den Göttern und manchmal konnten sie uns auch sehen. Durch diese Gebete und die damit verbundene Energie konnten wir bestehen. Und mit uns die Magie, die alles umgibt. <<

>>Aber warum hat man euch denn vergessen? <<

>>Das ist ganz einfach, wenn ein Mensch in einem Zelt wohnt und ein furchtbarer Sturm zieht auf, dann hat er große Angst. Er wird darum beten, dass der Sturm nachlässt und wer wäre da ein besserer Ansprechpartner als der Gott an den dieser Mensch glaubt? Wenn dieser Mensch nun stark zu seinem Gott betet, dann setzt er durch den Glauben Energie frei und sein Gott wird versuchen, ihm zu helfen. Wenn dieser Mensch nun aber in einem Haus wohnt, das aus Stein gebaut wurde, dann hat er keinen oder nur einen geringen Grund sich zu fürchten und wird den Sturm abwarten, er wird langsam seinen Gott vergessen und ihm keine Gebete mehr senden. Und irgendwann wird er aufhören zu glauben. <<

>>Aber ich bete jeden Abend, wenn ich in mein Bett gehe. <<

>>Und wegen deiner Gebete und der Gebete einiger weniger Menschen sind wir Götter noch nicht ganz vergessen. Allerdings meine ich, dass wir es für heute dabei belassen sollten. Ich will einmal sehen, ob Hugin sich insoweit beruhigt hat mit dir Frieden zu schließen und dich nach Hause zu bringen. <<

>>Aber Odin ich will noch nicht nach Hause, ich muss doch noch soviel wissen. <<

>>Ja Hannah das sollst du auch, aber ich möchte noch eine ganze Weile bei dir bleiben und deswegen benötige ich noch einige von meinen Geschichten für später. Außerdem müssen wir uns noch auf deinen Hund vorbereiten. << Das war das Zauberwort. Hannah war völlig aus dem Häuschen.

>>Heißt das, du hilfst mir bei meinem Hund? Hast du schon einen Plan? Holen wir den Hund heute ab? << Hannahs Stimme überschlug sich förmlich.

>>Alles zu seiner Zeit. << sagte Odin und lächelte Hannah vielsagend an.

>>Weißt du was Magie bedeutet Hannah? <<

>>Ja wenn man einen Hasen aus einem Hut zaubert oder Blumen aus dem Hemd! <<

>>Nun ja, eigentlich bedeutet es, im Einklang mit dem Willen Veränderungen herbeiführen. <<

>>Wie meinst du das denn? <<

>>Stelle dir einfach etwas ganz fest vor und konzentriere dich dann auf deinen Gedanken oder deinen Wunsch. Denke noch einmal darüber nach, was ich dir zu den Gebeten und der damit verbundenen Kraft gesagt habe. <<

>>Du meinst, wenn ich mir ganz fest einen Hund wünsche, dann bekomme ich ihn? <<

>>Du bist ein Naturtalent, vielleicht sollte ich dich jetzt fragen, ob du schon einen Plan hast? <<

Odin stand auf, legte lächelnd einen Arm um Hannahs Schultern und brachte sie zur Lichtung, wo Hugin sie bereits erwartete. Odin stand noch eine ganze Weile auf der Lichtung und sah den beiden hinterher. Odin freute sich über die Zeit mit Hannah und gleichzeitig hatte er die Befürchtung, dass der Moment kommen könnte, an dem er keine Antworten mehr auf Hannahs Fragen haben würde, denn er hatte sehr große Schwierigkeiten sich in dieser Welt zurecht zu finden. Es hatte sich zuviel geändert und auf vieles hatte selbst Odin keine Antwort. Währenddessen hatte Munin auf seiner Schulter Platz genommen und es schien, als würde er Odin etwas erzählen.

>>Ach Munin alter Freund, was ist nur aus Midgard geworden. Ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, in denen die Menschen respektvoll mit den Tieren den Pflanzen und den Mineralien umgingen.

Wie soll ich beispielsweise diesem kleinen Mädchen erklären, warum die Menschen in großen Gruppen, laut schreiend und brüllend durch die Wälder ziehen, die darin lebenden Tiere in Todesangst versetzen und sie zu Dutzenden töten. Haben nicht wir Götter den Menschen gelehrt das Tier zu achten und es nur dann zu töten wenn es unvermeidbar sei, um mit dem Fleisch die Familie zu ernähren, mit den Fellen in der Kälte zu wärmen und mit den Knochen Werkzeuge zu geben. Und haben wir sie nicht gelehrt sich bei den Tieren dafür zu bedanken? Munin, ich kann mich nicht daran erinnern, sie jemals das sinnlose Töten gelehrt zu haben. << Munin sah Odin lange nachdenklich an und erwiderte:

>>Nein Allvater das hasst du nicht, aber glaube mir, es gibt durchaus Menschen die nach wie vor deine Regeln befolgen. << Odin nickte nachdenklich, drehte sich um und verschwand langsam in der Dunkelheit des Waldes.

Währenddessen erschien Hannah wieder zu Hause. Hans-Hermann war mit Susi bereits vor einer Weile wieder nach Hause gegangen und Hannahs Mama telefonierte gerade als Hannah die Tür hinter sich schloss.

>>Hallo Mama. <<

>>Hallo Hannah, << sagte Mama, lächelte Hannah an und widmete sich dann wieder dem Telefonat. Hannah zog ihre Jacke aus und wollte sich in ihrem Kinderzimmer ein ganz spezielles Zaubergebet für den kleinen Hund auszudenken. Hannah ging die Treppe hinauf und beschloss das Zimmer zunächst dem Anlass entsprechend herzurichten. Sie setzte ihren Teddy auf das Bett und zog die Gardinen zu. Danach machte sie Ihre Nachtischlampe an und suchte sich ein Buch mit den schönsten Hundefotos aus dem Regal. Hannah suchte sich ein Foto aus dem Buch heraus das am ehesten ihrem neuen Hausgenossen entsprach, stellte das Buch geöffnet auf ihr Bett und den Teddy wie einen stummen Zeugen dazu. Schließlich kniete sich Hannah vor ihr Bett, faltete die Hände und schloss die Augen. Ganz leise, aber völlig der Wirklichkeit entrückt murmelte Hannah ihr stilles Zaubergebet für den kleinen Hund.

Hannahs Vater war an diesem Nachmittag in der Tierarztpraxis damit beschäftigt einige Unterlagen zu prüfen und Berichte zu schreiben. Während einer Pause, musste er an das Gespräch von gestern Abend denken und daran wie Hannah ihn mit ihren Aussagen verblüfft hatte. Woher wusste sie das? Sie konnte diese Dinge nicht aus dem Kindergarten oder von ihren Freundinnen haben. Vielleicht hatte Hans-Hermann etwas damit zu tun. Heute Abend würde er Hannah darauf ansprechen.

Währenddessen saß Hannah völlig in ihr Zaubergebet vertieft vor dem Bett und mittlerweile war ihr vor Anstrengung ganz schwindelig. So merkte sie auch nicht, dass ihre Mutter bereits mehrfach nach ihr gerufen hatte und nun mit einem sorgenvollen Gesicht hinter ihr im Zimmer stand.

>>Hannah! Was in aller Welt machst du hier? << Hannah war einigermaßen verwirrt und irgendwie fiel ihr keine Ausrede ein also sagte sie wahrheitsgemäß,

>>Ich bete mir den kleinen Hund her! <<

>>Ach so, ich hätte eigentlich von allein darauf kommen müssen. Langsam wird mir die Geschichte mit diesem Hund zuviel. << Mama sah ziemlich wütend aus und Hannah war klar, dass der Vorsprung in Sachen Hundehaltung jetzt erst einmal dahin ist. Odin hatte doch gesagt, wenn man sich etwas ganz fest wünscht, dann geht es auch in Erfüllung aber ein Blick in Mamas Gesicht stellte diese These deutlich in Zweifel.

>>Gudrun hat für dich angerufen, aber da du mir nicht geantwortet hast, wusste ich nicht ob du in deinem Zimmer bist. Ich habe Gudrun gesagt, dass du sie zurück rufst. Selbstverständlich nur, wenn unsere Moorpriesterin Zeit dafür übrig hat. << Mama bemühte sich so ernst wie möglich zu wirken. Aber ein Blick auf Hannah, die immer noch mit verschränkten Fingern und offenem Mund vor ihr stand, machte ihr diesen Vorsatz nicht unbedingt leicht.

>>Papa kommt sicher gleich nach Hause, bitte mach deine Beschwörungen zu Ende und komm dann zum Essen. << Was meinte Mama denn damit? Als Mama sich umdrehte, sah Hannah ganz deutlich, wie Mama lachen musste. Nachdem ihre Mutter die Tür hinter sich geschlossen hatte, sagte Hannah zu ihrem Teddy,

>>Morgen werde ich mit Odin noch einmal über das Hundegebet sprechen. Ich glaube, irgendetwas mache ich falsch. << Hannah setzte sich auf ihr Bett und nahm ihren Teddy in den Arm da fiel ihr Blick aus dem Fenster wo sich ein wunderschöner Regenbogen am Himmel zeigte. Dass hatte Odin damit gemeint, als er von der Regenbogenbrücke sprach. Der Regenbogen ist tatsächlich wie eine Brücke gewölbt, aber wo führt diese Brücke hin? Sicherlich hat die Brücke etwas mit dem Himmel zu tun oder mit irgendeinem Geheimnis aus der Welt der Götter. Hannah konnte es gar nicht mehr abwarten Antworten auf ihre Fragen zu erhalten.

Dass Papa nach Hause kam, hörte Hannah nicht. Sie war zu sehr mit sich und ihren Gedanken beschäftigt. Mama allerdings hatte bereits auf Papa gewartet, um mit ihm über den Hund zu sprechen.

Mama wusste nicht, ob sie dafür oder dagegen sein sollte, sie wusste nur, dass Hannah sich offenbar nichts sehnlichster wünschte als diesen Welpen und es schien sich hierbei auch nicht um eines der üblichen Strohfeuer zu handeln, wie damals als Hannah dringend ein Känguru benötigte und zwei Tage mit aller Macht die Vorteile von australischen Beuteltieren herunter betete. Aber es würde sich natürlich eine Menge verändern. Selbstverständlich kann ein so kleines Mädchen einen Hund nicht allein versorgen, aber wird sie sich der damit verbundenen Verantwortung bewusst sein? Sollte sie ihrer Tochter nicht dieses Vertrauen schenken und sie diesen Beweis antreten lassen? Nachdem sich Hannahs Eltern begrüßt und in der Diele Platz genommen hatten sagte Mama,

>>Wann ist der Welpe eigentlich alt genug, dass wir ihn zu uns nehmen können? <<

>>In ungefähr vier Wochen, aber ich dachte du wärst nicht unbedingt überzeugt davon gewesen, einen Hund zu uns zu nehmen? <<

>>Ja, aber ich mache mir langsam Gedanken darüber, ob sich Hannah vielleicht doch vernünftig um den Hund kümmern würde und ich sie einfach unterschätze. Heute Nachmittag hat sie sich einen kleinen Altar gebaut und zu irgendjemandem gebetet, damit sie den Hund bekommt. Du hättest ihre Hände und ihr Gesicht sehen sollen. Es war ihr offenbar sehr wichtig, dass ihr Gebet den Empfänger auch erreicht. Hannah wirkte erschöpft. << Papa sah sehr nachdenklich aus, als er antwortete,

>>Ich kann mir schon vorstellen, an wen sich das Gebet gerichtet hat, in letzter Zeit interessiert sie sich unglaublich für die germanische Mythologie im speziellen für Odin. Teilweise sagt sie dann Dinge, die sie nicht wissen kann, die allerdings den Tatsachen entsprechen. Ich habe den Eindruck, dass Hans-Hermann etwas mit der Sache zu tun hat. << Dass Hannah in diesem Moment nicht in ihrem Zimmer, sondern auf der Treppe war konnte natürlich außer Hannah niemand ahnen. Sie war gerade auf dem Weg in die Diele, als sie ihre Mutter von dem Hund reden hörte. Sie durfte diese Unterhaltung natürlich auf keinen Fall unterbrechen, also entschied sie sich, obwohl strengstens verboten, zu lauschen. Hannah reduzierte ihre Atmung nahezu auf geräuschlos und den Krampf in ihrem Fuß versuchte sie zu ignorieren. Aber nun ging es nicht mehr, atmend, als hätte sie die Bundesjugendspiele allein gewonnen und humpelnd kam Hannah die Treppe herunter.

>>Hannah was ist denn los? << fragte Mama besorgt.

>>Gar nichts! << sagte Papa >>Hannah hat wieder einmal gelauscht und dabei ist ihr der Fuß eingeschlafen. <<

>>Das stimmt gar nicht. << versuchte sie sich zu verteidigen, aber ihre Gesichtsfarbe verriet deutlich den Wahrheitsgehalt dieser Aussage.

Papa sah sie lange und sehr ernst an. Er hatte sich leicht zurückgelehnt und drehte einen Kugelschreiber zwischen Zeigefinger und Daumen.

>>Erinnerst du dich noch dunkel daran, was ich dir zum Lauschen gesagt habe? <<

>>Aber Papa ich habe nicht gelauscht! <<

>>Und kannst du dich auch noch daran erinnern, was ich dir zum Lügen gesagt habe? << Papa hatte recht und Hannah wusste das auch und Papa wusste das natürlich ebenso. Es war einer jener Momente wo sie sich wünschte, dass Mama irgendetwas sagen würde um diese Stille zu beenden. Aber Mama sagte nichts.

>>Entschuldigung, ich wollte nicht lauschen, aber ich habe gehört wie Mama von dem Hund geredet hat. << Papa schaute sie immer noch sehr ernst an. Hannah hatte nicht den Eindruck, dass Papa jetzt mit ihr über den Hund reden wollte.

>>Hannah? Was hat es mit Odin auf sich? <<

>>Gar nichts, wir sind nur Freunde. <<

>>Wer sagt das? Hans-Hermann? <<

>>Nein, das sage ich und Odin sagt das auch. << Papa sah Hannah nachdenklich an und schüttelte dabei leicht den Kopf.

>>Hannah, Odin ist ein Mythos, ein Gott, eine Sagengestalt. Wenn überhaupt, dann hat er vor tausenden von Jahren gelebt und kann nicht einfach mir nichts dir nichts auftauchen und einen kleinen Plausch mit dir abhalten. << Jetzt war es Hannah, die ihren Vater ungläubig ansah und den Kopf schüttelte.

Genau das hat Odin gemeint als er sagte, dass die Erwachsenen verlernt haben Kinder zu sein und die Magie nicht mehr sehen und spüren können. Hannah fühlte sich unverstanden und zu Unrecht als Lügnerin abgestempelt. Sie spürte, wie es in ihren Augen warm wurde und die Tränen ihr über die Wangen kullerten. Sie konnte nichts mehr sagen und lief weinend die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Es war sehr ruhig in der Diele. Papa saß immer noch nachdenklich am Tisch und spielte mit dem Kugelschreiber.

>>Warum denn nicht? << Unterbrach Mama die Pause.

>>Was? << Fragte Papa

>>Warum sollte Odin denn nicht einfach so auftauchen und mit Hannah reden und ihr mit ihren Problemen helfen? <<

>>Fängst du jetzt auch noch damit an? << Papa wirkte leicht gereizt.

>>Nein, ich meine von uns war doch niemand dabei, der das Gegenteil bezeugen kann und du hast selbst gesagt, dass ihre Aussagen den Tatsachen entsprechen würden. Wer gibt uns also das Recht ihre Geschichte anzuzweifeln? <<

>>Diese Diskussion geht mir allmählich zu weit, ich hätte jetzt gern meine Ruhe. << sagte Papa allerdings wirkte er jetzt etwas unsicher.

>>Sicher, Hannah hätte jetzt bestimmt auch gern ihre Ruhe. Die kann sie aber nur haben, wenn du ihr glaubst. Selbst wenn diese Geschichte ihrem Unterbewusstsein entspringt, so ist sie für Hannah doch äußerst real. Ich glaube nicht, dass sie lügt. << Hannahs Mama lehnte sich in den Türrahmen und blickte ihren Mann auffordernd an.

>Ja, du hast recht. Jetzt bin ich wohl mit den kleinen Brötchen an der Reihe. Lass mich noch ein wenig nachdenken dann gehe ich in die Höhle der Löwin. <<

Hannah lag schluchzend auf ihrem Bett den Teddy fest an ihren Körper gepresst. Was sie ihrem Teddy mit tränenerstickter Stimme erzählte, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Hannah wusste nun gar nicht mehr, was sie glauben sollte. Hat sie sich das alles nur eingebildet und hatte Papa Recht? In diesem Augenblick hörte sie ein lautes Krächzen und als sie zum Fenster sah, erblickte sie Hugin in einem Ast des Apfelbaumes der vor ihrem Kinderzimmerfenster stand. Hugin schien sehr aufgeregt und zeigte mit dem Schnabel auf ihren Arm. Da fiel es ihr ein, beim Sturz über Hugin hatte sie sich einen blauen Fleck am Arm geholt und der war nach wie vor an derselben Stelle. Hannah musste lächeln, sie hatte also doch Recht.

Wie gern hätte sie ihrem Vater den Raben gezeigt, doch dazu sollte sie vorerst noch keine Gelegenheit haben.

Leise klopfte es an der Kinderzimmertür und Hannah hörte die Stimme ihres Vaters.

>>Hannah? <<

>>Darf ich herein kommen? << in diesem Moment erhob sich Hugin mit dem aufkommenden Wind in die Luft und verschwand vor dem rötlich-grauen Himmel der Abendsonne als kleiner Punkt hinter den Baumwipfeln.

>>Na gut! << sagte Hannah und war ein wenig traurig darüber, dass Hugin nun nicht als Beweis zur Verfügung stand. Die Tür öffnete sich und Papa wirkte ein wenig unsicher als er fragte, ob er sich zu Hannah setzen dürfte.

>>Weißt du, manchmal ist es für uns Erwachsene gar nicht einfach zuzugeben, dass es vielleicht doch Dinge gibt, die wir von euch Kindern lernen können. << Papa nahm Hannah in die Arme und fragte:

>>Bekomme ich noch eine neue Chance? <<

>>Na klar! << strahlte Hannah ihren Vater an.

>>Aber nur wenn du mir nach dem Abendessen von Asgard und Odin erzählst. <<

>>Ja, oder du mir! <<

Beim Abendessen sprach keiner mehr von den Geschehnissen des Nachmittags. Allerdings wurde auch der Hund nicht mehr erwähnt aber das war heute auch nicht mehr so ganz wichtig, denn solche Entscheidungen, das wusste Hannah, durfte man nicht überstürzen. Mama wäre sonst genervt und dann würde sie den Hund vielleicht gar nicht bekommen. Papa hielt sein Versprechen und so machten es sich die beiden bei einer Tasse heißen Kakaos in der Ecke der Diele mit den großen Ohrensesseln und den vielen Büchern gemütlich. Hannah starrte gebannt auf das Buch das ihr Vater in den Händen hielt, es sah sehr alt aus. Es war ein sehr großes und schweres Buch, dunkelrot mit goldenen Buchstaben und auf dem Buchdeckel war Odin abgebildet, zumindest hatte der Mann auf dem Buch Ähnlichkeit mit ihm.

Hannah saß in dem großen Sessel und blickte ihren Vater erwartungsvoll an als er sie fragte,

>>Na, bist du bereit für unseren Streifzug durch germanischen Mythen und Göttersagen? <<

>>Ja Papa, lass uns anfangen! <<

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